Das hier ist kein «Gay is okay»-Text. Denn das wissen Sie schon: jeder Mensch soll sich selbst sein können.
Ich schreibe dies alles unter der vorsichtigen Prämisse, dass Leute, die im Bereich der Sozialen Arbeit tätig sind, grundsätzlich queerfreundlich sind.
Der Grund, warum dieser Text in diesem Magazin steht, ist: Es reicht nicht, queere Identitäten grundsätzlich in Ordnung zu finden. Weil es die Gefahr birgt, zu früh zufrieden mit sich selbst zu sein: Dass wir uns alle gern als offene Menschen begreifen, tut zwar unserem Ego gut. Aber gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Wir können queere Menschen voll in Ordnung finden und trotzdem aus Versehen queerfeindlich handeln. Das ist das Fiese an Diskriminierung: Sie passiert nicht immer aus Absicht. Darum ist es wichtig, dass wir immer wieder dazulernen können. Und verzeihen, wenn Fehler passieren – uns selbst und einander.
Wir bewegen uns in einer Welt, in der wertefreies Wissen über queere Identitäten nur selten in der Schule beigebracht wird. Ich wünschte, ich hätte im Biologie-Unterricht gelernt, dass Intergeschlechtlichkeit etwa so häufig ist wie Rothaarigkeit. Ich wünschte, wir hätten die Stonewall Riots im Geschichtsunterricht durchgenommen. Bücher wie «Stone Butch Blues» im Englischunterricht und «Gegen den Hass» im Deutschunterricht gelesen. Ich wünschte, man hätte uns beigebracht, dass Geschlecht nicht das zwischen den Beinen ist, sondern das zwischen den Ohren: dass es Menschen gibt, die trans sind, und dass Geschlechtsidentität sich auch ausserhalb von männlichen und weiblichen Konstrukten bewegen kann.
Das alles passiert an den wenigsten Schulen, und das müssen wir uns bewusst sein: Dass das Wissen über LGBTQIA, also über lesbische, schwule, bisexuelle, trans, queere, intergeschlechtliche und asexuelle Menschen sehr unterschiedlich verteilt ist. Das ist der Nährboden für Vorurteile, Berührungsängste und Missverständnisse. Und darum ist einer der wichtigsten Schritte für uns alle, uns immer wieder neues Wissen anzueignen. Auf «Eduqueer» finden sich Ressourcen für den schulischen Rahmen; in Bern gibt es einen queeren Buchladen namens «Queerbooks», wo von Fach- über Sachbücher bis hin zu Jugend- und Kinderbüchern alles zu finden ist (und ihr Onlinekatalog dazu ist eine gute Ausgangslage zum Schnuppern); und unterhaltsame Formate wie beispielsweise der Zurich Pride Podcast sind niederschwellige Einstiege in queere Welten.
Ich werde in meinem Alltag als LGBTQ-Aktivistin oft gefragt, wie man denn den eigenen Mitmenschen signalisieren kann, dass man queerfreundlich ist. Die Antwort lautet: besser nicht. Arbeitet man hingegen als Teil einer Institution, gibt es einige Optionen. Legen Sie bei Möglichkeit queeres Informationsmaterial aus, etwa das Jugendmagazin «Milchbüechli» und Flyer von queeren Organisationen Ihrer Region (ein Überblick findet sich auf queer.li/ste). Hängen Sie Informationen über unterstützende Angebote aus, zum Beispiel Du-bist-Du und die LGBTQI-Helpline. Gestalten Sie Ihre gesprochene und geschriebene Sprache so, dass sie alle Geschlechter willkommenheisst, und lernen Sie unbedingt, wie wir in der deutschen Sprache mit nonbinären Pronomen umgehen können. Gestalten Sie Anmeldeformulare so, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt (oder gar keines), und schreiben Sie innerhalb Ihres Teams die Pronomen in die Mailsignatur und auf die Teamseite online.
Legen Sie innerhalb Ihrer Arbeit Werte fest, die Sie in Bezug auf LGBTQIA vertreten. Und dann beziehen Sie Haltung, wenn es nicht einfach ist, wenn queerfeindliche Vorfälle passieren. Ich persönlich glaube nicht an safe spaces; ich glaube an accountable spaces, wo Menschen Verantwortung übernehmen für das, was vorfällt.
Ich mache all diese Vorschläge, damit Sie sich nicht auf womöglich queere Personen konzentrieren, sondern darauf, ihre Strukturen queerfreundlich zu gestalten. Das stärkt einen queeren Menschen. Falls dieser sich irgendwann outen sollte – bei Ihnen oder im Kontext, in dem Sie arbeiten –, ist das ein Vertrauensbeweis. Outet die Person sich nicht, ist das bestenfalls ein Akt der Selbstbestimmung.
Ich weiss, das war jetzt viel. Das liegt daran, dass es noch viel zu tun gibt. Aber es liegt auch daran, dass wir viel tun können. Queere Menschen zu respektieren, ist eine Form der Suizidprävention. Ich verlange nicht, dass Sie es von Anfang an perfekt machen. Ich wünsche mir nur, dass wir alle unser Bestes geben.