Eine Kolumne für das Kulturmagazin Saiten.
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Weil mich die Diskussion um «Cancel Culture», «Woke-Wahnsinn» und «politische Korrektheit» jagt wie ein rechtspopulistisches Gespenst – diese Kampfbegriffe stammen alle aus dem Gruselkabinett der Rechten –, mag ich was sagen zu Verantwortung.
Wir kriegen in unserem Leben ganz viele Binaritäten mit auf den Weg, die der Wahrheit keinen Gefallen tun. Eine dieser falschen Binaritäten ist diejenige, dass es Schuld und Unschuld gibt. Dass sich eine Person schuldig macht, sich dann entschuldigen kann und dann wieder unschuldig ist.
Unser Verständnis vom Fehlermachen dreht sich um Schuld. Anstatt um Verantwortung. Das muss sich ändern. Ja, ich bin überzeugt, dass eine genuine Entschuldigung ein gesunder Teil sein sollte davon, für einen Fehler Verantwortung zu übernehmen.
Selbstkritik ist idealerweise weit weg von Selbsthass. Am besten Verantwortung übernehmen kann ein Mensch dann, wenn er nicht nur das Gegenüber, sondern auch sich selbst wertschätzt.
Wenn ich weiss, was ich falsch gemacht habe, wer davon betroffen ist, was in der Vergangenheit anders hätte laufen sollen und in der Zukunft anders laufen könnte, dann kann ich das kommunizieren. Derjenigen Person oder denjenigen Personen, die betroffen sind. Da ist idealerweise eine Entschuldigung dabei. Aber: Ohne die Erwartung, dass mich mein Gegenüber entschuldigt. Denn verantwortlich für das Geschehene bin ich ja nach wie vor, und idealerweise übernehme ich nicht Verantwortung, um mich selbst weniger schuldig zu fühlen, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass das der richtige Schritt ist für meine Mitmenschen und mich.
Diese Überlegungen vermisse ich, wenn ich diese nervigen Diskussionen übers Fehlermachen höre. Niemand will Verantwortung für eigene Fehler übernehmen, aber alle wollen Macht und Verantwortung.