Als Politikerin muss ich es können – öffentlich auftreten. Was Frauen dabei abverlangt wird, ist absurd.

Als gerade der Wahlkampf für den Nationalrat begann, im Spätsommer 2023, liessen eine Freundin und ich uns hinreissen, an einem Online-Kurs teilzunehmen.Es war ein Workshop zu Auftrittskompetenzen speziell für Frauen, von einer renommierten Frauenorganisation durchgeführt, für Frauen in der Politik. Wenn so oft das Wort «Frauen» vorkommt in einer Ankündigung, kann der Workshop ja nicht schlecht sein, dachten wir.

Wir lagen falsch.

[…]

Die Werte, nach denen wir Auftreten und Selbstbewusstsein beurteilen, sind patriarchal geprägt: Durchsetzungskraft. Souveränität. Autorität. Diese Eigenschaften basieren allesamt auf  einer bestimmten Vorstellung von Stärke. Wir stellen uns einen durchsetzungsfähigen Menschen selten verletzlich vor. Wer souverän ist, ist nicht durchlässig. Und dass Autorität etwas Wünschenswertes ist, müssen wir sowieso hinterfragen – wie wäre es stattdessen etwa mit hierarchiekritischer Empathie, einer Person, die sich exponiert und dabei ihre eigene Verantwortung und Macht reflektiert, vielleicht sogar mit dem Kollektiv teilt?

Die Freundin und ich schnappten uns also Frauenchips und Frauennotizblock und lauschten der Kursleiterin des Frauenworkshops im Videocall. Wir staunten nicht schlecht, was uns als Erstes geraten wurde:

«Seid Königinnen, keine Prinzessinnen.»

Keine von uns ist adelig, aber das war dann doch sehr bizarr. Die Erklärung der Kursleiterin lautete: Wir sollten nicht zu leise reden – aber trotzdem etwas reserviert wirken. Besser nicht dauernd, aber würdig lächeln – das stand auch so auf der Folie, «würdig lächeln». Was da noch so stand: Auf den Studentinnenlook verzichten. Nicht zu fest wie eine Sekretärin wirken. Nicht zu eng stehen. Nicht in der Hüfte einknicken.

Ich frage mich, ob Männern in Rhetorikkursen auch beigebracht wird, dass sie keine Prinzen sein sollen, dafür aber  bitte würdig lächeln. Nicht wie ein Sekretär, und unbedingt reserviert wirken.

Meine Hüfte und Hoffnung knickten dann doch etwas ein bei diesem Videocall. Da nehme ich mir Zeit, um an einem Kurs teilzunehmen, der uns Frauen beibringen will, wie wir es überstehen, uns in der männlich geprägten Politikwelt zu exponieren, ja sogar öffentlich aufzutreten: Unsere Stimme in einer Sitzung zu erheben, ein Interview zu geben, Reden zu halten. Und dann wird mir gesagt, ich soll nicht wie eine Sekretärin oder Studentin wirken. (Als würde nicht jeder Erfolg eines Politikers auch auf der Arbeit von Sekretärinnen und Studentinnen beruhen!) Nein, schlimmer: Da wachsen wir in einer Welt auf, die es uns schwer macht, aufzutreten, und dann kommt ein Kurs daher, der uns sagt, was wir alles falsch machen. Wir Prinzessinnen, wir.

Jedenfalls sind wir mittlerweile beide Politikerinnen, die Freundin und ich, und wir nehmen uns beide unseren Raum, in Kommissionen, Fraktionssitzungen, den Medien, aber nicht wegen dieses Workshops. Sondern trotzdem. Obwohl wir nicht immer lächeln und nicht immer würdig reserviert sind.

[…]

Haben Frauen Erfolg, machen sie es an äusseren Faktoren fest – Ich hatte einfach Glück! Und so viel Unterstützung! –; scheitern sie, fühlen sie sich alleine verantwortlich dafür.

Eine männliche Sozialisierung führt oft zum Gegenteil: Geht etwas schief, muss es an den Umständen gelegen haben. Stellt sich Erfolg ein, warst du es ganz allein. Bravo, Reto.

Wer bis hierhin liest, denkt wohl: What the fuck, Rosenwasser, warum machst du es dann trotzdem? Ich weiss warum.

Ich weiss jeden Tag, warum es sich lohnt, sich zu exponieren. Jedes Mal, wenn eine Person, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehört, ihre Stimme erhebt, sorgt sie damit für mehr Vielfalt im Diskurs. Sie drängt sich  mit der nötigen Chuzpe in einen Raum, der mit Sicherheit mehr unterschiedliche Perspektiven vertragen kann. Sie ist damit eine Bereicherung für eine oft an Vielfalt arme Diskussion. Nur schon deshalb lohnt es sich: Wenn nicht aus Euphorie, dann aus feministischem Trotz.

Wer sich Platz verschafft – in der Diskussion am Küchentisch, mit einem Votum an einer Sitzung, auf einer Bühne, vor einer Kamera oder mit der Tastatur –, nimmt damit Raum ein, der sonst nur denjenigen gegeben wird, die der Norm längst entsprechen. Diesen Raum zu erweitern, ist ein radikaler Akt. Er erweitert unser kollektives Verständnis davon, wessen Existenz sichtbar sein kann und darf.

Wie geil ist das denn bitte.