Ich mache Weightlifting und Yoga und HIIT, aber mein härtestes Training ist dieses Lächeln, das ich aufsetze, wenn ich älteren Herren die Bedeutung des Genderns erklären muss.
Der Anonymität halber sage ich jetzt, dass der Anlass nicht Weihnachten war, sondern Ostern. Es war auch nicht die Verwandtschaft meiner Partnerin, bei der ich zu Gast war, sondern, sagen wir, ein Geschäftsessen.
Gut. Es war also ein Oster-Geschäftsessen, wir sassen alle bei Tisch nach dem Hauptgang, und der Gastgeber und sein Gegenüber lieferten sich ein Duell. Es war das harte Duell zweier Männer über 50, die sich so ambitioniert gegenseitig die offenen Türen einrennen, dass wir genauso gut eine Drehtüre hätten installieren können.
«Nichts darf man mehr sagen!», sagte der eine. «Nichts mehr!», bekräftigte der andere, während sie das beide ja sagen durften, lautstark sogar, denn wir anderen sassen mehr oder weniger still da in der Hoffnung, dass die Drehtür von allein zum Stehen kommt. Kam sie nicht. Es war eine regelrechte Turbo-Drehtüre. «Ich sage weiter Schokoküsse!», skandierte der eine und verwendete dabei nicht den Begriff Schokoküsse, «und kulturelle Aneignung ist Blödsinn!», rief der andere, was sich ja prima in die Weisse Kultur einfügt, «und das mit dem Gendern ist auch völliger Gugus!».
Da machte ich dann den Fehler des Abends und schaltete mich ein. Weil ja bekannt ist, dass ältere Herren, die gegen «politische Korrektheit» – oder wie es meine Freund:innen und ich gern nennen: Respekt und Anstand – wettern, sicher einer jungen Frau zuhören werden. Ohweh. Jedenfalls schaltete ich mich mit dem Lächeln ein, das ich seit Jahren trainiere, weil Frauen eher zugehört wird, wenn sie nicht wütend wirken. Ich mache Weightlifting und Yoga und HIIT, aber mein härtestes Training ist dieses Lächeln.
Lächelnd wie eine linksextreme Version von Pamela Reif brachte ich also an, dass ich zum Thema gendersensible Sprache arbeite, Referate gebe, Texte schreibe und politisiere. Die psycholinguistische Forschung nehme ja schon länger an, dass Gendern einen positiven Einfluss auf unser Weltbild haben könne.
Die beiden Herren der Wortschöpfung hörten mir nur sehr ungern zu. Ein Argument war ihnen dann bereits eines zu viel. «Als hätten wir keine anderen Probleme», grummelte der eine, «wir haben ganz andere Probleme!», rief der andere aus. Das ist lustig, weil sie in ihrer Aufzählung von Problemen das Gendern eigenständig auf den Tisch gebracht hatten.
Wäre es wirklich so unwichtig, ob wir nun ein Sternli, einen Doppelpunkt oder ein Palmenemoji in unsere Wörter einarbeiten (mit Emojis haben sie übrigens keinerlei Probleme, die stören den Sprachfluss nicht und sind ästhetisch ????????), dann könnten wirs ja einfach lassen, darüber zu reden. Dann wärs ja eben egal. Dann hätten wir andere Probleme. Weil: Probleme, die gibt es nur einzeln. Probleme kommen immer nur eines nach dem anderen, zum Glück, wäre ja mega mühsam, wenn mehrere Probleme gleichzeitig existieren würden. Gott, wäre das anstrengend.
Wir müssten über inklusive Sprache diskutieren und über Rassismus. Über Sozialabbau und darüber, dass die Pasta versalzen ist. Stellt euch vor, die Probleme würden dann auch noch zusammenhängen! Vielleicht nicht grad die Pasta und der Sozialabbau (obwohl… ????????????), aber vielleicht Machtverhältnisse innerhalb und ausserhalb unserer Sprache! Das wäre anstrengend. Phu.
Zum Glück aber wussten die beiden Herren: Wir haben andere Probleme. Sie haben diese an diesem Oster-Geschäftsessen zwar nicht gelöst. Aber ganz sicher verstanden.