Meine Rede für die 1.Mai-Feier in Winterthur.
Sehr geehrte Damen bis Herren,
liebe Menschen, die in Winterthur zuhause sind,
liebe Menschen, die es gerne wären,
und alle, die es mal waren.
Wir reden heute über Wohnungen und übers Wohnen, weil bezahlbarer Wohnraum ein Grundrecht ist. Dass wir überhaupt Geld verdienen und bezahlen müssen dafür, zu existieren, ist absurd genug. Als müssten wir uns das Existieren verdienen. Als wäre die Tatsache, dass es uns alle gibt, nicht ein Geschenk.
Stattdessen verteuern Immobilienfirmen unser Wohnen. Das bedeutet: Wir werden aus unseren Wohnungen verdrängt. Und, und das finde ich noch wichtiger: Wir werden aus unserem Zuhause verdrängt. Denn Wohnen ist nicht nur ein Grundrecht. Wohnen ist ein Zuhause.
Das ist, was ausbeuterische Systeme mit uns machen: Sie nehmen uns unser Zuhause weg. Wir können nicht wählen, ob wir in der Nähe unserer Liebsten wohnen, weil wir an den Rand unserer Städte und Gemeinden gedrängt werden. Wir können nicht entscheiden, wie viel Raum uns gut tut, weil der Raum eh zu teuer ist, um nur darüber nachzudenken. Uns wird die Freiheit genommen, selbst zu wählen, wo unser Zuhause ist.
Das ist nicht nur beim Wohnen so, liebe Mitmenschen. Ein kapitalistisches und patriarchales System beraubt uns der Freiheit, selbst zu entscheiden, was unser Zuhause ist.
Wer unser Zuhause ist.
Und wie unser Zuhause ist.
Denn «Zuhause» ist ja nicht einfach nur Wohnen! Zuhause ist, wen wir lieben und wen wir lieben dürfen. Wem wir nahestehen – und zwar nicht nur in der Büropause. Zuhause ist dort, wo wir uns aufgehoben fühlen, und auch dort, wo wir bereit sind, Unangenehmes durchzustehen, um füreinander da zu sein.
Zuhause kann da sein, wo wir aufgewachsen sind – und gleichzeitig jeder Mensch auf der Welt muss die Möglichkeit haben, sein Zuhause an einem anderen Ort aufzubauen. Weil er will – oder weil er muss. Jede Person, die hier ist und hier sein will, muss hier bleiben dürfen. Kein Mensch ist illegal!
Ich sage das als Nationalrätin in einem Parlament, wo Menschen mit Migrationsgeschichte komplett untervertreten sind. Ich sage es als gewählte Politikerin in einem Land, wo ein Viertel der Menschen, die hier leben, gar nicht wählen und abstimmen dürfen. Ein Zuhause ist auch da, wo wir mitbestimmen können. Dass das in der Schweiz noch immer nicht der Fall ist, ist rassistisch und undemokratisch!
Der 1. Mai ist nicht nur ein guter Tag, um konstruierte Grenzen kritisch zu hinterfragen. Der 1. Mai ist auch ein guter Tag, um gemeinsam zu überlegen, was Arbeit uns bedeutet. Wenn wir so viel arbeiten müssen (oder sogar wollen), dass uns kaum mehr Zeit für unser Zuhause bleibt, was bleibt uns dann? Was bleibt uns, wenn wir unseren Wert an Leistung festmachen?
Dagegen wehren wir uns, heute und das ganze Jahr. Jede Person hat ein Zuhause verdient, eine bezahlbare Wohnung ebenso wie genug Zeit für ihre Liebsten. Uns allen steht nicht nur ein bezahlbares Wohnzimmer zu. Sondern auch stundenlanges Faulenzen auf dem Sofa. Wir wollen nicht nur ein bezahlbares Schlafzimmer. Sondern auch die Möglichkeit, auszuschlafen. Wir verdienen nicht nur eine bezahlbare Küche – sondern auch den besten Kuchen statt nur ein paar Krümel.
Wir sind heute hier, weil wir nicht das Mindeste fordern. Sondern alles, was uns zusteht. Ein gutes Leben für alle, denn es ist möglich. Gemeinschaft statt Vereinsamung. Ein Zuhause, das wir uns leisten können, ohne uns Tag für Tag ausbeuten zu lassen.
Wir fordern Ausschlafen für alle und Kuchen im Bett!
Auf dass jeder Mensch ein Zuhause hat!
Ein Leben in Freiheit – für alle statt für wenige!